“Studieren heißt nicht, ein Fass zu füllen, sondern eine Flamme zu entzünden”

Wirtschaftswissenschaftler Otto Scharmer (USA) zu Gast beim Thüringer Modellprojekt Achtsame Hochschulen in der digitalen Gesellschaft – Das Projektprogramm 2019

Mitglieder des Steuerkreises des Thüringer Modellprojekts: v. l. n. r. Prof. Dr. Steffen Teichert, Rektor der Ernst-Abbe-Hochschule Jena,  Prof. Dr. Peter Scharff, Rektor der Technischen Universität Ilmenau und Prof. Dr. Walter Rosenthal, Präsident der Friedrich-Schiller Universität Jena
Foto: Peter Mimietz

“Wozu braucht die Welt eine Hochschule, wenn alle Vorlesungen online verfügbar sind? Wie müssen wir unsere on-campus-Lernformen revolutionieren, wenn die Vorlesungsinhalte über das iPad bezogen werden?”  So fragt der international renommierte Managementforscher Prof. Dr. Otto Scharmer. Er arbeitet an der amerikanischen Elite-Hochschule Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge/Mass. in der Sloan School of Management und wird im Mai 2019 als Gast des Thüringer Modellprojekts Achtsame Hochschulen in der digitalen Gesellschaft in Jena sein.

Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltungsreihe Achtsam.Digital – Die Hochschule des 21. Jahrhunderts (www.achtsam.digital) wird Scharmer am 3. Mai von 13.00 bis 16.00 Uhr in den Rosensälen der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena (Fürstengraben 27) an einer hochschulöffentlichen Podiumsdiskussion teilnehmen. Neben Scharmer werden hierbei der Rektor der Technischen Universität Ilmenau Prof. Dr. Peter Scharff, der Thüringer Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee, der AOK-PLUS-Vorstandsvorsitzende Rainer Striebel und andere Experten zu Wort kommen. Gerahmt wird die Podiumsdiskussion durch ein Eröffnungswort des Präsidenten der Friedrich-Schiller-Universität Prof. Dr. Walter Rosenthal, eine Einführung durch das Team des Thüringer Modellprojekts und eine Keynote Lecture von Prof. Scharmer sowie einen Ausblick vom Rektor der Ernst-Abbe-Hochschule Jena Prof. Dr. Steffen Teichert. Interessierte können sich bis zum 20. April unter info@achtsam.digital anmelden. Die Veranstaltung findet in deutscher Sprache statt. Der Eintritt ist frei.

Zusätzlich zur Podiumsveranstaltung findet am 3. Mai von 9.00 bis 12.00 Uhr in den Rosensälen der Friedrich-Schiller-Universität ein Workshop für interessierte Hochschulführungskräfte der Thüringer Hochschulen unter Leitung von Otto Scharmer statt. Die Anmeldung zu dieser zielgruppenspezifischen Veranstaltung ist bis zum 20. April unter info@achtsam.digital möglich. Das gleiche gilt für das dritte Arbeitstreffen der überregionalen Kooperationsplattform Achtsame Hochschulen, das am 4. Mai von 09.30 bis 17.30 Uhr in den Rosensälen durchgeführt wird.

Im Rahmen der Kooperationsplattform, an der Hochschullehrende aus acht Bundesländern teilnehmen, kommen unter Leitung von Christine Wank (Generative Facilitation Institute Berlin) ausgewählte Techniken der von Scharmer entwickelten Presencing-Methode zur Anwendung. Ein zentrales Anliegen des “Presencing” ist es, Menschen dabei zu helfen, individuelle und institutionelle Zukunftspotentiale zu erspüren und diese Schritt für Schritt Wirklichkeit werden zu lassen. Wank wird diese Methode für die Kooperationsplattform nutzbar machen, um mit den Teilnehmenden gemeinsam auszuloten, ob und wie eine kooperative überregionale Antragstellung zum Thema Achtsame Hochschulen zu gestalten ist.

Des weiteren wird im Rahmen des Thüringer Modellprojekts auch 2019 wieder eine Vielzahl von Achtsamkeitskursen angeboten, die auf die unterschiedlichen Statusgruppen des Hochschulsystems zugeschnitten sind. So erfolgten für die Führungskräfte der Thüringer Hochschulen am 04., 11., 18. und 25. März Mindfulness Based Leadership Trainings (MBLT). Diese wurden von Günter Hudasch, dem Vorsitzenden des Berufsverbandes der Achtsamkeitslehrer in Deutschland, im Luthersaal des Augustinerklosters Erfurt durchgeführt. An den beiden MBLT-Kursen haben zehn Mitglieder von Hochschulleitungen und 30 weitere akademische und administrative Hochschulführungskräfte aus sechs Thüringer Hochschulen teilgenommen.

Für die Statusgruppe der Hochschullehrenden findet im Sommersemester 2019 unter Leitung von Dr. med. Bernd Langohr (Jena) das Mindfulness Based Teacher Training (MBTT) statt. Das für 30 Teilnehmende ausgelegte Trainingsprogramm (6x 3 Stunden) wird am 11. und 25. April, 9. und 23. Mai, 6. und 20. Juni 2019 jeweils von 18.00 bis 21.00 Uhr in der Kiliani-Kapelle im Erfurter Dom durchgeführt. Die Veranstaltung ist sowohl für Neueinsteiger*innen geeignet als auch für Hochschullehrende, die bereits an einem MBTT-Kurs (oder einem vergleichbaren Achtsamkeitstraining) teilgenommen haben  und ihre Achtsamkeitspraxis auffrischen möchten.

Die bereits etablierten Kursformate Mindfulness Based Student Training (MBST) und Mindfulness Based Employee Training (MBET) werden auch in diesem Semester wieder an der Ernst-Abbe-Hochschule angeboten. MBST wird unter der Leitung von Prof. Dr. Mike Sandbothe für Studierende des Fachbereichs SW im Medienstudio durchgeführt. Ebenfalls dort werden die Professoren Haase (BW), Sandbothe (SW) und Schmager (WI) gemeinsam mit der Projekt-Doktorandin Steffi Heger mittwochs von 13.30 bis 15.00 Uhr einen MBST-Kurs anbieten. Für diesen können sich Studierende der Fachbereiche BW, SW und WI im Rahmen des Studium Integrale anmelden. Für die administrativen und wissenschaftlichen Mitarbeitenden wird René Spielmann dienstags von 16.00 bis 17.00 Uhr einen MBET Kurs anleiten. Die Anmeldung dazu erfolgt über Moodle.

Neben den vier Kursformaten für Studierende (MBST), Lehrende (MBTT), Mitarbeitende (MBET) und Führungskräfte (MBLT) finden im Rahmen des Thüringer Modellprojekts weitere Veranstaltungen zur zielgruppenspezifischen Vermittlung von Achtsamkeits-Kompetenzen statt. So führt Ko-Projektleiter PD Dr. Reyk Albrecht (FSU) zusammen mit dem Leiter des Schreibzentrums der FSU Jena, Dr. habil. Peter Braun, vom 01. bis 06. April den fünftägigen Workshop “Achtsames Schreiben” durch. Hier haben sich 15 Doktorandinnen und Doktoranden, Postdocs und Juniorprofessor/innen angemeldet. In der Veranstaltung geht es darum, feste Zeiten für das Schreiben an einer Dissertation oder Habilitation, an einem Aufsatz oder Buch mit Einheiten gemeinsamer Achtsamkeitspraxis zu verbinden.

Am Ende des Jahres schließlich wird vom 07. bis 11. Oktober 2019 ein Intensiv-Workshop für Hochschulführungskräfte und Hochschullehrende unter der Leitung von Günter Hudasch und Karin Krudup (Ausbildungsleiterin des Instituts für Achtsamkeit, Bedburg) angeboten. Die Veranstaltung wird im Benediktushof Holzkirchen (bei Würzburg) stattfinden und ist als Vertiefung für Hochschulmitglieder konzipiert, die bereits an MBLT, MBTT oder vergleichbaren Kursen teilgenommen haben. Der Zen-Meister und Leiter des Benediktushofs, Dr. Alexander Poraj, wird zu Beginn der Veranstaltung in die Geschichte des Hauses einführen. Der Benediktushof ist heute eines der größten Zentren für Meditation und Achtsamkeit in Europa, an dem Menschen in Stille zu sich kommen, um sich auf Wesentliches zu konzentrieren.

Die beschriebenen Angebote des Thüringer Modellprojekts lassen sich als Teil einer möglichen Antwort auf die eingangs gestellte Frage von Otto Scharmer deuten: “Wozu braucht die Welt eine Hochschule, wenn alle Vorlesungen online verfügbar sind?” Aus Scharmers Sicht könnte an die Stelle der bisher im Vordergrund stehenden Faktenvermittlung (“downloading”) eine “Vertikalisierung” der akademischen Bildungsprozesse treten (“performing”). Die Aufgabe der Hochschule des 21. Jahrhunderts würde dann u.a. darin bestehen, in multifunktionalen Dialogräumen unsere Formen des Zuhörens und der Aufmerksamkeit, unsere Modi des Denkens und Kommunizierens sowie unsere Methoden des organisierten und koordinierten Handelns grundlegend zu erneuern. “Studieren” – so hat es der in Hamburg geborene MIT-Wissenschaftler im Anschluss an eine antike Sentenz von Plutarch einmal pointiert formuliert – heißt dann nicht länger “ein Fass zu füllen, sondern eine Flamme zu entzünden.”

Literatur: Otto Scharmer, Theorie U. Von der Zukunft her führen, Heidelberg: Auer 2009 (im Original zuerst 2007); “Die Universität als Ort der Erneuerung: 13 Thesen” in: Die Aufgabe der Bildung. Aussichten der Universität, hrsg. von P. Kovce und B.P. Priddat, Marburg: Metropolis 2015, S. 225-234; Essentials der Theorie U. Grundprinzipien und Anwendungen, Heidelberg: Auer 2019 (im Original zuerst 2018).

Erschien in: FACETTEN – Die Hochschulzeitung, Nr. 38, April 2019, S. 38 – 39